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Geneviève Duboscq

Bye Bye Geneviève

Bye Bye Geneviève

»Freund oder Feind?« Mit diesen Worten stürmt mitten in der Nacht des 5. Juni 1944 ein amerikanischer Fallschirmjäger in das Haus der zwölfjährigen Geneviève und ihrer Familie. Es soll der »längste Tag ihres Lebens« werden. Es ist der erste Kontakt zwischen den Bewohnern von Sainte-Mère-Église und ihren Befreiern während des Zweiten Weltkrieges. Doch nicht sie sind es, die die Familie retten, sondern die Duboscqs eilen den Soldaten zur Hilfe. Die Amerikaner sind mit ihren Fallschirmen im Sumpf vor dem Haus gelandet und drohen, darin zu ertrinken. Papa Maurice fährt die ganze Nacht lang immer wieder mit seiner Barke in die Sümpfe hinaus und zieht einen Fallschirmjäger nach dem anderen aus dem Wasser. 350 von ihnen rettet er unter Lebensgefahr vor dem sicheren Tod. Anschließend nimmt die Familie sie bei sich auf. Die kleine Geneviève und ihre Mutter und pflegen und versorgen die verletzten Soldaten.

In der ungewissen Zeit des Krieges setzen die Duboscqs ein Zeichen der Menschlichkeit und nehmen sich unvoreingenommen derer an, die ihre Hilfe benötigen. Inmitten von Hass, Leid und Tod halten Geneviève und ihre Familie an dem fest, woran sie glauben. Ihre beispiellose christliche Nächstenliebe überwindet Nationalitäten und Sprachbarrieren. Und sie bringt die Familie dem näher, wonach sie sich seit Ausbruch des Krieges sehnen: Frieden.

Dreißig Jahre später werden sie während der Feierlichkeiten zum Gedenken an die Landung für die Rettung und Erstversorgung der Fallschirmjäger geehrt. Geneviève hat diese schreckliche Nacht und die folgenden Ereignisse nie vergessen. Jahre später beginnt sie zu erzählen und trägt dabei stets die Worte »Bye bye Dgenevi« im Herzen, mit denen sich die GI‘s von ihr verabschiedeten und immer ein Erinnerungssignal waren für ihr Lebenszeugnis für den Frieden.

Seiten: 300

Geneviève Duboscq

ISBN:978-3-86417-123-9

Seiten: 300

Normaler Preis €22,80 EUR
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Geneviève Duboscq

Geneviève Duboscq (1933–2018) erlebte als Zwölfjährige den Zweiten Weltkrieg in den Sümpfen von Saint-Mère-Eglise. Sie half den GI's der Luftlandedivision und erhielt den französischen Verdienstorden der Ehrenlegion.

Leseprobe

Am Tag der Kriegserklärung läutete es zuerst vom Glockenturm in Sainte-Mère-Église. Ich werde mich immer daran erinnern. Ich wusste sofort, dass das Sturmläuten von dort kam. Dem Glockenturm konnte ich übrigens von meinem Zimmer aus sehen. Er war genau gegenüber von der Schäferei.
Der von Amfreville fiel sofort ein, Sekunden später die Glocken von Fresville, von Neuville-au-Plain und von Chef-du-Pont. Noch niemals hatte ich die Glocken auf solche Weise läuten gehört. Es war eine bedächtige und fremdartige Melodie, noch trauriger als an bestimmten sommerlichen Tagen in der Dämmerung. Normalerweise klingen die Glocken fröhlich. Sicher, es gibt auch die Beerdigungen, aber da weiß man Bescheid. Nein, hier ging es nicht um eine Beerdigung. Es war ein neuer und drohender Ton, eine schaurige Melodie, die sich schwer auf die Weiden und Sümpfe legte, voller Trostlosigkeit und angekündetem Sturm. Warum? Was war geschehen?
An diesem Tag hatte Mama mir, dem großen Mädchen von sechseinhalb Jahren, die Obhut über das reizende einjährige Baby an- vertraut, das momentan in seiner Wiege schlief. Arme Mama. In dem Augenblick, als die Glocken zu läuten begannen, sah ich sie durch das Fenster. Sie plagte sich damit ab, mit der Sichel die Ranken der dornigen Stauden abzuschneiden, die da und dort auf den Wiesen wuchsen wie Unkraut in den Gärten. Wenn die Rinder sie fraßen, bekamen sie davon kaputte Magenwände. Als »dornige Hauhecheln« sind sie im Lexikon beschrieben, in unserer Gegend sagt man zu diesen Disteln mit den rosa Blüten »Rinderstopp«.
Mama sicherte allein das Hüten einer großen Herde Zuchtrinder und den Unterhalt von vierzehn Hektar Weidefläche. Die Arbeit ging ihr nie aus. Sie musste auch allein für die Bedürfnisse ihre Kinder aufkommen. Mein Vater, Opfer seines schlechten Umgangs und seiner Trunksucht, setzte das, was er verdiente, in Cidre und Calvados um. Meine Mutter arbeitete also wie immer – gewöhnliche Arbeit an einem gewöhnlichen Tag, welcher sich nicht von den anderen unterschied. Von Papa Maurice nicht die geringste Spur. Wir wussten genau, was er tat: er trank wie immer.
Meine Mutter war wie jeden Morgen sehr früh aufgestanden. Bevor sie zum Gutshof von Jean Leroux ging, wo sie mit einer an- deren Frau etwa zwanzig Milchkühe melkte, hatte sie das schlafende Baby in meine Armbeuge gelegt. Ich lag ausgestreckt da, ohne mich zu rühren, und wagte kaum zu atmen, aus Angst es aufzuwecken.
Claude war meine ganze Freude. Er war mein Bruder, gleichzeitig mein Schützling und meine Zuflucht, das einzige Wesen auf der Welt, meine Mutter ausgenommen, bei dem ich ganz ruhig war. Ich schaute ihm beim Schlafen zu, achtete auf seinen Atem, ängstlich und doch gleichzeitig ungeduldig, damit ich sah, wie er die Augen öffnete, und damit ich sein erstes Lächeln verkosten konnte und sein erstes Brabbeln.
Nach getaner Arbeit kam meine Mutter gegen neun Uhr nach Hause. Sie stieg die steile Holztreppe zu meinem Zimmer hoch und nahm mir ihr Baby ab. Während sie es stillte, hatte ich im großen Zimmer im Erdgeschoss Feuer gemacht. Es war Zeit zum Frühstücken. Oh, es war sehr einfach, unser Frühstück! Zwei große Scheiben Brot, die, von einem Sechspfünderlaib abgeschnitten, im Kamin gegrillt und in Milch getunkt wurden. Dann hatte jede ihre Aufgabe: der Haushalt war für mich und für Mama die Pflege der riesigen Weiden um die Schäferei. Denise und Francis, meine älteren Geschwister, verbrachten ihre Schulferien bei Gutsbesitzer Jean mit leichteren Arbeiten.
Ja, es war ein gewöhnlicher Tag. Draußen regte sich nichts. Auf der linken Seite, entlang der Umzäunung, die den Weg verdeckte, warfen die großen Ulmen fast keinen Schatten. Es war Mittag. Auf der rechten Seite, jenseits der Bäume, die die Weidenflächen begrenzten, lagen die Sümpfe, die in ihrer vollen Länge vom Bahngleis durchquert wurden. Sie waren noch nicht überschwemmt. Der Winter war noch weit. Andere Pferde und andere Rinder grasten dort. Immerhin, vielleicht gab Papa Maurice Acht auf sie, versperrte ihnen den Weg und hinderte sie daran, die Gleise beim Herannahen des Zuges zu überqueren, vielleicht lehnte er am BÜ 104 an der Holzschranke, die so aussah wie alle Schranken auf dem Felde. Vielleicht lief er seine Kontrollstrecke dem Schienenstrang entlang und inspizierte die Gleiskörper, um die Stellen zu markieren, die von der Hitze geweitet waren?
Ein Bild des heiteren Friedens. Nein, nichts konnte uns passieren. Das Leben war hart, es war mühselig, aber es war unser Leben. Warum sollte es sich ändern? Und wer hätte es ändern können?
Die Glocken läuteten immer noch. Warum? Warum läuteten sie auf solche Art? Ich musste es unbedingt wissen. Ich warf noch einen Blick auf das eingeschlafene Baby und sah, dass alles in Ordnung war, ich verließ das Haus und lief auf meine Mutter zu. Sie würde es doch vielleicht wissen. Als sie mich kommen hörte, richtete sie sich auf und presste mich weinend an sich. Ich hatte mein Gesicht an ihrer Brust vergraben, ich fragte sie, warum die Glocken so läuteten.
»Das ist das Sturmläuten. Es ist schrecklich. Sie läuten, um den Krieg anzukündigen.«
»Den Krieg?«
»Die Menschen werden sich gegenseitig umbringen, Geneviève. So ist der Krieg.«
Ich wusste es wohl. Aber diese Massaker werden irgendwo weit weg von uns stattfinden, in einer Ecke Frankreichs, wo weder Mama noch ich jemals hingehen werden. Was wird das also bei uns ändern?
»Du wirst noch Zeit genug haben, das zu merken. Wir werden immer ärmer, immer unglücklicher werden.«
Ja, vielleicht. Aber waren wir denn so unglücklich? Ich war kein verwöhntes Kind, welches in Watte gepackt und vor allem beschützt aufgewachsen war, wie die Kinder in den Städten. Ich hatte schon Verantwortung übernommen, ich konnte schon zupacken. Ich hatte schon einiges erlebt, wie man so sagt. Warum also verzweifeln?
Meine Mutter weinte, ich musste sie trösten. Ich gab mir die erdenklichste Mühe.
»Lächle doch wieder und höre ein wenig auf mit deiner Arbeit. Du wirst sehen, alles wird wieder gut. Komm nach Hause, ich mache dir einen Kaffee.«
»Das geht nicht, Geneviève. Ich kann jetzt nicht aufhören. Ich muss vor dem Abend noch Zäune nachsehen. Die Ochsen haben mehrere Stacheldrähte gerissen, ich muss sie ausbessern.«
»Wie schade. Du hättest sehen können, wie schön unser Baby ist.« Der Gedanke an ihren kleinen Claude ließ ihr Gesicht zärtlich aufleuchten. Sie folgte mir willig bis nach Hause. Mit ein wenig Diplomatie hatte ich ihr eine kurze Zeit der Ruhe verschafft. Während sie ihren Kaffee trank, setzte ich mich auf ihren Schoß. Ich schlang
meine Arme um ihren Hals und sagte zu ihr:
»Sei nicht traurig. Lehr mich lieber ein neues Lied.«
Soweit ich mich erinnern kann, war ich schon immer vom Sin- gen begeistert. Kaum zu glauben, dass ich, bevor ich sprechen konnte, schon gesungen habe. Meine Mama, die genauso begeistert war, lehrte mich jeden Tag einen neuen Refrain oder manchmal, wenn sie keine Zeit hatte, einige Verse zu einer Strophe vom vergangenen Tag. Auch sie hatte eine schöne Stimme. Wir hatten jedes Mal eine neue große Freude an unserem gemeinsamen Singen. Ich ließ mich mitreißen und sang von morgens bis abends, zu Hause, wenn der Vater gegangen war, auf den Feldern, unterwegs, wenn ich mit Mutter zum Einkaufen ging oder wenn ich meine große Schwester Denise abholte, wenn sie von der Schule kam. Später pfiff ich unversehens während des Unterrichts in der Schule.
Der Gesang war unser Luxus, ein Luxus, der niemandem wehtat. Aber an diesem Tag schien es nicht so. Meine Mutter war so traurig. Dennoch fragte sie mich:
»Soll ich dich wirklich ein Lied lehren? Trotz des Krieges der jetzt anfängt?«
Jetzt erst recht, trotz des Krieges. Mama hatte mir erzählt, dass ein französischer König, Ludwig XIII. damals unser Land unter den Schutz der Jungfrau Maria gestellt hatte. Wir sollten bei Gefahr zu ihr beten. Sie kann sich einfach nicht von Frankreich abwenden. Es gibt ein schönes Lied, das davon handelt.
»Lehr mich dieses Lied.«
»Wenn du willst. Aber pass genau auf den Text auf. Ich wer- de es nur einmal singen. Dann muss ich mich wieder an die Arbeit machen.«
Dann begann sie zu singen, ganz sachte, und betonte genau die
Silben. Ich wiederholte sie anschließend.