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Günter Poll

Daoismus

Daoismus

Unser traditionelles Weltbild, die Vorstellung nämlich, dass die Natur nur eine Kulisse für menschliches Handeln darstellt und sich dem Menschen unterordnen muss, ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur brüchig geworden, sondern inzwischen vollständig widerlegt. Während es in der Bibel noch anmaßend heißt »Macht euch die Erde untertan«, zeigen uns der immer schneller fortschreitende Klimawandel und die daraus resultierende Umweltzerstörung, dass unser Leben als Menschen viel enger mit der Natur verbunden ist, als uns bisher bewusst war.

Schon vor mehr als 2000 Jahren entwickelte sich in China eine Denkrichtung, der Daoismus, die – was die Natur und speziell das Verhältnis zwischen Mensch und Natur betrifft – in fundamentalem Gegensatz zu diesen westlichen Vorstellungen steht. Dieses Denken wurzelt in einer tiefen Verbundenheit mit und Bewunderung für die Natur und lehrt, dass die Störung der natürlichen Ordnung der »10.000 Dinge« (wie es in den Texten der beiden daoistischen Lehrmeister Laozi und Zhuangzi heißt) zur Zerstörung der Grundlagen der menschlichen Zivilisation führt.

Diese Lebensphilosophie – die im Westen häufig mit einer Religion verwechselt wird – verbindet sich mit existenziellen Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft und führt schließlich zu der Einsicht, dass ein selbstbestimmtes Leben im Einklang mit der Natur der einzige Weg ist, der zu innerer und äußerer Harmonie führt.

Seiten: 84

Günter Poll

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Günter Poll

Günter Poll ist Anwalt für Medienrecht und studierte Anfang der 1970er Jahre auch Sinologie und Soziologie in München. 1975 reiste er zum ersten Mal nach China und beschäftigt sich seitdem intensiv mit der Sprache und Kultur des Landes, deren wichtigstes und grundlegendes Element das daoistische Denken ist. 2016 verbrachte er einige Zeit in dem berühmten daoistischen Kloster Wudan Shan in Zentralchina.

Leseprobe

Einleitung


Das traditionelle Weltbild ist brüchig geworden. Die Vorstellung, dass die Natur nur die Kulisse für menschliches Handeln ist und es hinnehmen muss, dass der Mensch sie ausbeutet (»Macht euch die Erde untertan«, wie es in der Bibel heißt), war zwar immer schon anmaßend, ist aber lange Zeit als normal, gewissermaßen naturgegeben angesehen worden. Der Klimawandel belehrt uns jedoch derzeit eines Besseren. Immer mehr Menschen kommen zu der Einsicht, dass ihr Leben viel enger mit der Natur verbunden ist, als ihnen bisher bewusst war.
Vor rund 2.500 Jahren entwickelte sich in China eine Denkrichtung, der Daoismus, die in fundamentalem Gegensatz zu westlichen Vorstellungen steht, was die Natur und das Verhältnis zwischen Mensch und Natur betrifft. Eine tiefe Bewunderung für die Natur (»Sie strengt sich nicht an, aber ist trotzdem immer vollkommen«), verband sich mit den existenziellen Grundfragen nach dem Sinn des Lebens und der Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft und führte zu der Einsicht, dass nur ein selbstbestimmtes Leben im Einklang mit der Natur der Weg ist, der zum Ziel innerer und äußerer Harmonie führt.
Da es in der Natur keine Unterscheidung zwischen »richtig« oder »falsch« gibt, ebenso wenig wie zwischen »gut« oder »schlecht« usw. und jeder Eingriff in die durch den Wechsel der Jahres- und Tageszeiten bedingten natürlichen Abläufe negative Folgen hat, waren die Begründer der daoistischen Lehre im 5./4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung der Auffassung, dass strenge Unterscheidungen zwischen »richtig« und »falsch«, »gut« und »schlecht« usw. unnatürlich sind und die Erreichung dieses Ziels erschweren. Sie lehrten daher, dass die beiden Pole (YIN und YANG), die nicht nur in der Natur, sondern überall sichtbar oder spürbar sind, wie die zwei Pole eines Magneten miteinander verbunden sind und sich ergänzen. Der Mensch tut gut daran, dies, d.h. die Wechselseitigkeit aller Phänomene, die »Einheit in der Vielheit« zu beachten und das Gleichgewicht in der Natur nicht zu stören.
Ansätze zu diesem Denken gab es zwar – ungefähr gleichzeitig – auch bei den griechischen Vorsokratikern (Heraklit). Seine Einsicht, dass alle Dinge sich ständig verändern (Panta rei = Alles fließt), aber auch die Vorstellung von der verborgenen Einheit von Gegensätzen entspricht in erstaunlicher Weise der daoistischen Lehre, ist aber später in Vergessenheit geraten und hat in der westlichen Philosophie keine Spuren hinterlassen, während der Daoismus über die Jahrhunderte zur Seele Chinas geworden ist und das Denken und Handeln der Chinesen bis heute in vielerlei Hinsicht bestimmt.




I.


Der Daoismus wird im Westen meistens als eine Religion oder esoterische Quasi-Religion verstanden. Das ist zwar insofern richtig, als es in China seit Jahrhunderten daoistische Klöster gibt, in denen eine Vielzahl daoistischer Heiliger verehrt werden. Mit dem wesentlich älteren, auf Laozi und Zhuangzi (5./4. Jahrhundert vor Christus) zurückgehenden philosophischen Daoismus (Dao jia) hat diese bis heute in China lebendige Volksreligion mit ihrer Mischung aus Aberglauben, Magie und Heiligenverehrung aber nur wenig zu tun, auch wenn es natürlich gemeinsame Schnittmengen und gegenseitige Einflüsse gibt. Wenn im Folgenden von Daoismus die Rede ist, ist daher nicht Letztere, sondern die Lehre von der universellen dynamischen Harmonie gemeint, die bis heute das chinesische Denken prägt.
Auch mit der anderen, das chinesische Denken do-minierenden Denkrichtung, dem Konfuzianismus (Ru jia), der etwa aus der gleichen Zeit stammt, hat der philosophische Daoismus nur wenig zu tun. Es gibt zwar zahlreiche Parallelen und Überschneidungen zwischen beiden Denkschulen, aber ihre Kernbotschaften sind nicht nur vollkommen unterschiedlich, sondern stehen in deutlichem Gegensatz zueinander: Der Konfuzianismus repräsentiert die pragmatische, nüchtern-vernünftige und auf die Gemeinschaft bezogene Seite des chinesischen Denkens. Die Konfuzianer predigen die Anpassung an die bestehende Ordnung und die Unterordnung unter Autoritäten und Regeln als Voraussetzung für persönlichen Erfolg, sozialen Aufstieg und gesellschaftliche Stabilität. Es geht also um ein konservativ-konformistisches Ideal, in dem das Kollektiv wichtiger ist als der einzelne Mensch.