Home | | Der Glaube auf der Couch
Zu Produktinformationen springen
1 von 1

Raphael M. Bonelli

Der Glaube auf der Couch

Der Glaube auf der Couch

»Gott ist tot«, postulierte Friedrich Nietzsche vor mehr als 100 Jahren. Die Kirche ist anscheinend out – und sündigen kann man heute nur noch mit einem zu großen Stück Schokotorte. Warum dennoch so viele junge Menschen gegen diese 68er-Weisheiten Sturm laufen, warum ihr Glaube sie glücklich macht, warum sie von Atheisten beneidet werden, erklärt der Wiener Psychiater Raphael M. Bonelli.
Doch in diesem leicht verständlichen Buch legt sich nicht nur der Glaube auf die Couch. Hier wird auch dargelegt, warum jeder Fußballer nur mit Gehorsam erfolgreich wird, warum James Bond weder zur Ehe noch zum Zölibat fähig ist und dass bereits die alten Griechen wussten, wie der Mensch glücklich wird: Die Tugenden kehren zurück.

Seiten:

Raphael M. Bonelli

ISBN:978-3-86417-023-2

Seiten:

Normaler Preis €16,80 EUR
Normaler Preis Verkaufspreis €16,80 EUR
Sale Ausverkauft
inkl. MwSt.
Vollständige Details anzeigen
Bolelli Bücher und E-Books bei Booksender

Raphael M. Bonelli

Raphael M. Bonelli (*1968) ist Neurowissenschaftler an der Sigmund Freud Universität Wien sowie Psychiater und systemischer Psychotherapeut in eigener Praxis. Während seiner Forschungsaufenthalte an der Harvard-Universität, der University of California (Los Angeles) und der Duke University veröffentlichte er zahlreiche Beiträge im Bereich der Gehirnforschung und habilitierte im Fach Neuropsychiatrie.

Leseprobe

Herr Dozent DDr. Bonelli, welche positiven Einflüsse können Religion und Spiritualität auf unser Leben haben oder – einfach gefragt: Tut Religion der Psyche gut?

Wir beschäftigen uns als Psychiater und Psychotherapeut nicht mit Religion, sondern mit Religiosität. Religiosität (bzw. Spiritualität) ist eine deskriptive psychologische Realität, so wie z.B. Empathie. Sie beweist nicht notwendigerweise z.B. die Existenz Gottes – diese Frage ist eine theologische, mit der wir uns als Psychiater nicht beschäftigen. Religiosität ist aber in jedem Menschen – zumindest rudimentär – zu finden; das ist ein Konsens, den auch agnostische Kollegen wie Martin E. P. Seligmann (im Buch »Authentic Happiness« 2005) mittragen können. Und damit ist Religion einmal prinzipiell etwas, was einer inneren Sehnsucht des Menschen entgegenkommt und entspricht. Auch Sigmund Freud hat das Phänomen der Sehnsucht nach dem Göttlichen beschrieben: »Das Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke ihrer Wünsche«. In der wissenschaftlichen Psychiatrie gehen die neueren Daten klar in die Richtung, dass Religiosität bei Suchterkrankungen, bei Suizidalität und in der Depressionsbewältigung eine wichtige, stützende Funktion haben kann,

die Befindlichkeit verbessert und protektiv bei diesen drei Krankheitsgruppen wirkt. Experten unterscheiden weiter zwischen intrinsisch und extrinsisch motivierter Religiosität, die sich da hinsichtlich der Wirkung auf die Befindlichkeit deutlich unterscheiden dürften.

Religiöser Fanatismus, Terrorakte im Namen Gottes oder Sektenbildungen zeigen, dass Religiosität auch Dämonen gebären kann. Unter welchen Voraussetzungen kippt die positive Wirkmächtigkeit von Religion zu Gunsten von Terror und Fundamentalismus?

Ja, das ist eine wichtige Frage. Denn die pathologische und pathogene Religiosität ist spätestens seit dem 11. September 2001 in aller Munde. Nun, einerseits kann eine gesunde Religiosität auf Religionssysteme treffen, die weit von den üblichen Weltreligionen entfernt sind
– als Beispiel sei die Davidianer-Sekte in den USA genannt, die 1993 in Waco einen Massensuizid verübt haben. Andererseits kann ein »normales« Religionssystem auf pathologische Religiosität, d.h. pathologischer Verarbeitung und Verdrehung treffen. Als Bespiel hierzu sei- en die früher beschrieben »ekklesiogenen« Neurosen genannt. J.B. Torello hat dazu treffend festgestellt: »Nicht das religiöse Leben schafft Neurotiker, es ist der Neurotiker, der das religiöse Leben verformt«. Ich denke, dass hier das Konzept intrinsisch und extrinsisch motivierter Religiosität greift: Nach Gordon W. Allport (1967) lebt der intrinsisch Religiöse seine Religion, wären der extrinsisch Motivierte die Religion für seine Zwecke benutzt – oder sogar missbraucht. Der politisierte Miss- brauch der Religion im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 oder der ich hafte Missbrauch fremder Religiosität von diversen Sektenführern sind weitere radikale Ausformungen dieser Problematik.

Einige Therapeuten tun sich nach wie vor schwer mit dem Thema Religion bzw. mit der Religiosität ihrer Patienten. Welche Bedenken haben Ihre Kollegen diesbezüglich und wie lassen sich Religion und Psyche in Einklang bringen?

Zu Recht befürchten manche Kollegen, dass die Grenzen zwischen den Bereichen Psychotherapie und Seelsorge verschwimmen und Psychiater beginnen, ihre Weltanschauung und ihr Gottesbild in die Therapie einfließen zu lassen. Solch eine Vorgangsweise halte ich für unzulässig, für einen Autoritätsmissbrauch, für Manipulation. Denn das ist nicht der Auftrag des Patienten, wenn er in eine Therapie geht. Ich plädiere für die Trennung, die ich bereits eingangs skizziert habe: Religiosität ja, Religion nein. Und tatsächlich kommt es meines Erachtens sehr viel häufiger zu Grenzüberschreitungen, als man denkt. Da laut rezenten Studien Psychotherapeuten signifikant weniger religiös sind als ihre Klienten, ist diese Manipulation aber häufiger eine religionsfeindliche. Natürlich gibt es auch noch vereinzelt ältere Kollegen, die mit Sigmund Freud Religion für eine (Zwangs-)Neurose und damit für eine Krankheit halten, für einen »infantilen Wunsch nach dem über- mächtigen Vater«. Die macht der neue Trend natürlich aus ihrer Weltanschauung heraus nervös, denn im 19. Jahrhundert galt alles Religiöse als »unwissenschaftlich«. Übrigens hielte ich es auch für problematisch, wenn Seelsorger allzu viel Psychotherapie in ihre Arbeit hineinbringen.