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Elisabeth Escher

Der letzte Akt vom Puppenspiel

Der letzte Akt vom Puppenspiel

Hildegard Glas ist vierundneunzig Jahre alt und lebt nach dem Tod ihres Ehemanns weiterhin in ihrem Haus am Stadtrand von Salzburg. Körperlich gebrechlich aber geistig nach wie vor rege, gängelt und manipuliert sie gekonnt die Menschen um sich herum. Ihr Sohn Wieland, erfolgreicher Jurist im Ruhestand, die Pflegerin Anyana, die Hildegard rund um die Uhr betreut und bei ihr im Haus wohnt, ihre einstige Zugehfrau Rosi und auch die Enkeltochter Jenni, die in Rom studiert und sich in unglücklichen Beziehungen mit verheirateten Männern verstrickt – sie alle tanzen nach ihrer Pfeife, als wäre sie die Puppenspielerin in ihrem ganz persönlichen Bühnenstück.

Als ein unerwarteter Brief eintrifft kommt Hildegards Souveränität schließlich ins Wanken, denn eine folgenschwere Lebenslüge drängt ans Licht und macht den letzten Akt ihres Puppenspiels zu einer Gratwanderung.

Seiten: 220

Elisabeth Escher

ISBN:978-3-96123-078-5

Seiten: 220

Normaler Preis €15,00 EUR
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Buch von Elisabeth Escher | Bücher und E-Books bei Booksender

Elisabeth Escher

Elisabeth Escher, geboren in Wels in Oberösterreich, schreibt Romane, Lyrik, Kinderliteratur und Lehrbücher. Nach Abschluss ihres Anglistik- und Romanistik-Studiums an der Universität Salzburg unterrichtete sie am Pädagogischen Institut sowie an einem Salzburger Gymnasium, wo sie bis heute tätig ist. Der literarische Durchbruch gelang ihr mit ihrem dritten Roman »Hannas schlafende Hunde«, der mit Hannelore Elsner in der Hauptrolle für das Kino verfilmt wurde. Auch ihr 2020 im Bernardus-Verlag erschienener Roman »Das Fenster zum Himmel« soll bald verfilmt werden. Escher ist Mitglied der Salzburger Autorengruppe und wurde 2006 mit dem Christine-Busta-Lyrikpreis ausgezeichnet.

Leseprobe

Es geht mir gut. Es geht mir sogar sehr gut, weil ich es nämlich sehr gut habe. Vergleichsweise. Den Umstän­den entsprechend. Mehr kann man nicht verlangen. Mit fast vierundneunzig. »Was willst du mehr, Mut­ti«, sagt Wieland freitags, dem Tag, an dem er mich alle zwei Wochen besuchen kommt.
»Wer wird schon vierundneunzig?«, sagt er auch und lässt dabei seinen Blick vom Foto neben dem Fernseher auf mich und wieder zurück schweifen.
Die an den Außenrändern leicht abfallenden Lider, die den Augapfel halb bedecken, hat er von Viktor. Das fällt mir eigentlich erst auf, seit mein Mann nur mehr als Fotografie im Haus anwesend ist. Überhaupt kommt es mir vor, dass Wieland nun, besonders, seit sein Haaransatz erheblich über die Stirn nach hinten gewandert ist, immer mehr dem Mann auf dem Foto gleicht. Einzig die Gestalt hat er nicht von Viktor, der war zeitlebens ein Strich in der Landschaft. Wieland hat meinen Knochenbau: robust und stämmig.
Ich bin dankbar für meine starken Knochen, sonst hätte ich den Oberschenkelhalsbruch vor nunmehr fünf Jahren nicht mehr so weggesteckt. Natürlich sit­ze ich seither die meiste Zeit im Rollstuhl, aber mit dem Rollator kann ich, wenn es sein muss, in der Wohnung herumgehen. Anyana übt das Herumgehen täglich mehrmals mit mir.
»Müssen mobil bleiben, Frau Hilde«, sagt sie, um mich anzuspornen.
»Papa«, sage ich auf Wielands Frage, wer denn schon so alt werden würde. »Papa ist auch vierund­neunzig geworden.«
» Ja, eh«, sagt Wieland. Dabei lächelt er mich an. Auch Viktor lächelt. Ich lächle zurück.
»Weißt du, Mutti, über neunzig und kaum dement, allein das ist ein Gottesgeschenk«, meint Wieland.
»Hast ja recht«, sage ich und tue so, als ob ich das ›kaum‹ überhört hätte und als ob ich nicht bemerken würde, dass Wieland gerade auf seinem Handy her­umfingert. Ich weiß ja, dass in diesen Geräten ganze Parallelwelten zur Verfügung stehen, auch wenn ich so ein Ding nicht bedienen kann.
»Ich soll dir herzliche Grüße von Sophie ausrich­ten«, sagt Wieland, »das nächste Mal kommt sie wie­der mit, du weißt ja, sie hat Dienst heute.«
»Ja, ich weiß«, sage ich, »lass sie auch schön grü­ßen von mir.« Natürlich weiß ich das nicht, ich kenne doch Sophies Dienstplan nicht, aber das tut nichts zur Sache. Und ehrlich gesagt ist es mir auch lieber, wenn Wieland allein kommt, beide zusammen sind dann doch etwas anstrengend. Sophie meint es gut mit mir, über ihre Krankenschwester-Ratschläge kann man sich auch nicht so einfach hinwegsetzen, schließlich ist sie vom Fach. Du denkst eh daran, genug zu trin­ken, ermahnt sie mich jedes Mal, das hält den Blut­druck stabil, schwemmt die Organe durch, und über­haupt. Während sie auf mich einredet, schaut sie aber Anyana streng an, denn Anyana ist es, die für mein Trinken und Weiterleben verantwortlich ist. Dafür ist sie da und dafür wird sie bezahlt.
Das Babyphon, das neben mir am Wohnzimmer­tisch steht, bleibt an Wieland-Freitagnachmittagen abgeschaltet, bis wir Kaffee trinken und Kuchen essen. Kaffetrinken und Kuchenessen gehören zum Ritual. Und ich bin im Spiel.
»Das Babyphon ist ein wahrer Segen«, sagt Wieland, »besonders für alte Leute. Die Pflegerin hat dich un­ter Kontrolle und kann beim kleinsten Mucks von dir reagieren und ist in wenigen Sekunden vom ersten Stock bei dir im Erdgeschoss. Du schaltest es hoffent­lich nie eigenständig ab, wenn ich nicht da bin?«, fragt er, und natürlich verneine ich. Gottesgeschenk und Segen, ich möchte nur wissen, ob sich Wieland mei­netwegen immer öfter eines religiösen Wortschatzes bedient, oder ob es eine Alterserscheinung seinerseits ist. Seit er im Ruhestand ist, kommt er mir manchmal recht wunderlich vor.
Die Pendeluhr bimmelt zweimal. Die akustische Mahnung, das Babyphon einzuschalten. »Sagst du Anyana jetzt Bescheid«, sagt Wieland. Ich tue, was er sagt und drücke den Tonknopf. Die Taste für die Sicht kann nur die Pflegerin auf ihrem Gerät oben betätigen, ob sie es tut, weiß ich nicht, wahrschein­lich schon. Ich kann sie ohnehin nicht sehen, hätte ja auch keinen Sinn, aber sie hat auf ihrem Appa­rat einen Bildschirm eingebaut, auf dem überblickt sie das Wohnzimmer. »So haben alles im Blick, Frau Hilde«, sagt sie, »auch wenn nicht im Zimmer«. Sie spricht ausschließlich in der Nennform oder über­haupt ohne Zeitwort.
Ach ja, für Anyana bin ich nicht Frau Glas, sondern Frau Hilde. Dass die Pflegerinnen ihre Schutzbefoh­lenen mit dem Vor- und nicht dem Familiennamen anreden sollen, wird ihnen vermutlich in ihrer Aus­bildungszeit nahegelegt, denn auch die paar Rumänin­nen, die vor Anyana bei mir waren, haben mich ganz selbstverständlich und ohne vorher mein Einver­ständnis einzuholen, ›Frau Hilde‹ genannt. Egal. Viel­leicht passt der Vorname tatsächlich besser zum not­gedrungen intimen Verhältnis der Betreuerinnen zu ihren Pfleglingen. Wenigstens ›Frau‹ vor ›Hilde‹. Ich nenne sie nur beim Vornamen, ohne ›Frau‹ davor, die­ser Unterschied muss sein. Wieland hingegen spricht auch meine Pflegerin immer mit ›Frau‹ an, Frau plus Vorname, also ›Frau Anyana‹. Den Nachnamen kennt er vermutlich gar nicht.
Seit anstelle von Viktor die Pflegerin bei mir im Haus wohnt, ist ohnehin vieles anders geworden. Aber, wie gesagt, es geht mir gut. Besser kann man es nicht haben. In meinem Alter. Wieland wird nicht müde, für mein Glück Gründe zu finden. »Stell dir vor, du wärst im Heim«....