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Carsten Berg

Die Fälschung

Die Fälschung

Das neue Jahrtausend scharrt mit den Hufen, nicht nur in Aachen, der westlichsten aller deutschen Großstädte. Matteo Hanenstein will auch einmal ein Held sein, etwas Großes vollbringen. Es muss nicht die Welt bewegen aber ihn. Stattdessen bewegt ihn eine Frau aus dem fernen Sankt Petersburg, und diese Liebe kostet ihn fast den Verstand …

Als er sich endlich bewegt, gelangt er von Amerika nach Russland in weniger als einer Zigarettenlänge. Von dort schreibt er einen langen Brief an seine Zarin. Endlich ist er sie los. Und am Ende steht ein Anfang. Hanenstein hat Zeit. Er trinkt Tee.

Seiten: 234

Carsten Berg

ISBN:978-3-96123-074-7

Seiten: 234

Normaler Preis €15,00 EUR
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Carsten Berg

Carsten Berg, geboren in Castrop- Rauxel, studierte in Aachen zunächst Bergbau, dann Germanistik und Philosophie (zeitweise auch Romanistik). Er war freier Journalist, PR Redakteur, Werbetexter, Lehramtsanwärter, Vorleser, Stützlehrer, Fallmanager. Und immer Schriftsteller.

Leseprobe

Auch an diesem Samstag ging die Welt nicht unter, so sehr Matteo Hanenstein auch darauf hoffte. Das Bro­deln in seinem Schädel ließ ihn zwar beim Erwachen zuerst glauben, die Erde bebe, aber dann blieb es nicht still genug für den ersehnten großen Knall, der ihn von allem erlöste und der von obskuren Autoritäten für die ins Haus stehende Jahrtausendwende vorausgesagt worden war. Stattdessen flötete das Meisenpärchen vor seinem Fenster. Und das bot auch nicht das Panorama von Los Angeles, sondern vom Regen glänzende Dä­cher, Dachgärten, Hinterhöfe und Stiefmütterchen auf Fensterbänken der Viktoriastraße im östlichen Ausläu­fer des Frankenberger Viertels in der alten Kaiserstadt Aachen.
Er öffnete vorsichtig das rechte Auge, sein gutes, und wegen der Intensität der Strahlen, die darauf einschos­sen, ahnte er, dass es in der Welt da draußen schon auf Mittag zugehen musste. Das Wochenende umarmte ihn bereits auf die altvertraute Weise, nur hatte er diesmal al­leine reingefeiert. Er schloss das Auge wieder, drehte sich rum, als das Telefon irgendwo in der Küche läutete. Ha­nenstein gähnte, räkelte sich aber immerhin bereits, sehr behutsam, als sei er eingefroren. Warum auch immer es läutete, es musste warten, bis er halbwegs die Kontrolle über seinen Körper wiedergefunden hatte.
Unter der Dusche fiel ihm dann nicht nur mehrfach die Shampooflasche aus der Hand, sondern auch ein, was Benno ihm gestern Nacht am Telefon orakelt hatte: Mor­gen kommt eine wunderschöne Überraschung, du alter Einsiedler!
Benno, sein Freund Benno, der ewige Schwätzer, der Frauenschwarm, der Welt bester Texter – und jetzt sein Ex-Kollege. Hanenstein packte die große Wehmut und er drehte das Wasser auf kalt. Das hatte er noch nie aus­stehen können aber ein wenig körperliches Martyrium passte jetzt gut zu seinem Kater. Außerdem versetzte es ihn in die richtige Stimmung: Er fühlte sich eiskalt im Stich gelassen. Toller Freund! Kaum kam eine Frau daher, war’s vorbei mit der Männerfreundschaft.
Während er sich abtrocknete wurde ihm wärmer und seine Gedanken wurden gnädiger. Er sah, wie die beiden ihm aus dem Fenster zugewunken hatten, bevor sie mit dem Möbelwagen abfuhren. Benno und Miriam. Und Miriam war auch nicht mal eben vorbeigekommen. Das hatte sich schon über Monate gezogen, bis die beiden si­cher gewesen waren. Nach Monaten zu dritt in diesen Räumen. Nicht gerade der Jackpot für eine Frau.
Und nun waren sie ausgezogen. Er, Benno, mit ihr, Miriam, und er, Matteo Hanenstein, stand allein in der Wohnung.
»Aber nicht mehr lange!«, hatte Benno mit seinem Orakel-Grinsen gesäuselt. Hanenstein konnte den Opti­mismus seines Freundes nicht teilen. Benno hatte immer die Mädels aus dem Hut gezaubert und seinem Freund Matteo präsentiert, bis zum Schluss mit der nie ermü­denden Hoffnung, endlich, trotz aller offensichtlichen Sinnlosigkeit, die Richtige für ihn gefunden zu haben. Aber Herr Hanenstein hatte seine eigenen Vorstellun­gen. Und die beschränkten sich nicht nur auf die Optik, obwohl er da von Berufs wegen vorbelastet war. Erschwe­rend kam seine ausufernde, zudem in erschreckendem Maße wachsende Sammlung von Frauen – oder besser: der Bilder von Fotomodellen oder Schauspielerinnen – mit auf die Waagschale. Aber gänzlich inkompatibel wur­den die animierten Damen durch eine aus der Steinzeit überlebte Liebe Hanensteins, so nannte Benno es gerne, die Hanenstein bis zur bewussten Stunde unter der Du­sche noch nicht fachgerecht verarbeitet hatte.
Hanenstein wickelte sich in einen unmodisch gestreif­ten Bademantel und drückte im Vorbeigehen die PLAY-BACK-Taste des Anruf beantworters. Während das Band zurückspulte öffnete er den Küchenschrank, atmete mit einem tiefen Zug das entgegenströmende, herb-süße Aroma ein und ließ den Blick prüfend über die säuberlich angeordneten Reihen diverser Teesorten gleiten.
»Hi! Hier ist Aakea ... Aakea Nadorna. Ich hoffe, Ben­no hat dich vorgewarnt ... wie auch immer, ich komm’ jetzt gleich.« Es rauschte, so als sei die Aufnahme schon beendet, aber dann räusperte sich die Stimme. »Falls du doch da bist, wäre es sehr, sehr schön, wenn du vielleicht einen Kaffee machen könntest, ich meine, bevor wir den Kram raufschleppen, ja? Okay, bis gleich!«
Die Dose Assam fiel Hanenstein aus der Hand, die mit einem Mal eiskalt war. Zittrig kramte er die Kaffeekanne hervor. Benno hatte ihn natürlich nicht vorgewarnt. Was sollte das bedeuten: Den Kram raufschleppen? Benno liebte Überraschungen und Hanensteins unbeholfenen Umgang damit ganz besonders. »Sei einfach spontan, Junge!«, hatte Benno stets getönt. Das mit dem Kaffee würde er ja noch hinbekommen aber auf fremde Men­schen, zudem weiblichen Geschlechts, war er grade gar nicht eingestellt, nicht heute! Hanenstein schlurfte in sein Zimmer, um die Bekleidungsfrage zu klären. Er schob die Tür des Wandschrankes zurück und sein schlammver­spritztes Sportzeug rollte ihm vor die Füße. Wegzulaufen war auch keine Lösung – wohin auch? Immerhin wollte diese Person offensichtlich bei ihm einziehen. Aber war­um konnte Benno nicht wenigstens mal fragen, bevor er ihm seine Nachfolgerin präsentierte?