Home | | Geradeaus quergedacht
Zu Produktinformationen springen
1 von 1

Wilhelm Imkamp

Geradeaus quergedacht

Geradeaus quergedacht

Ist die Marienverehrung heute noch zeitgemäß? Sollte Liturgie auch ein ästhetisches Erlebnis sein? Und was genau ist eigentlich »Clerical Correctness«? Diese und viele weitere Fragen zu den Themen Glaube, Kirche und Gesellschaft erörterte Prälat Dr. Wilhelm Imkamp in den vergangenen Jahrzehnten in zahlreichen Interviews, von denen einige aus dem Zeitraum von 1988 bis 2016 nun erstmals in einem Band vorliegen.
Diskutiert werden unter anderem die Marienerscheinungen in Fatima, die abnehmende Zahl der Gläubigen in den Kirchen, die äußere Erscheinung von Priestern und das aktuelle politische Tagesgeschehen. In den Mittelpunkt rückt in den Gesprächen auch immer wieder der Wallfahrtsort Maria Vesperbild, wo Prälat Imkamp seit 1988 als Wallfahrtsdirektor wirkt. In gewohnt lebendiger, direkter Art bezeichnet er Maria Vesperbild als »religiöses Dienstleistungsunternehmen«, das die Freude am Glauben erlebbar macht.

Seiten: 144

Wilhelm Imkamp

ISBN:978-3-8107-0259-3

Seiten: 144

Normaler Preis €11,80 EUR
Normaler Preis Verkaufspreis €11,80 EUR
Sale Ausverkauft
inkl. MwSt.
Vollständige Details anzeigen

Wilhelm Imkamp

Leseprobe

Reformen kommen aus den Seelen der Gläubigen und nicht von den Schreibtischen der Zentralen!
Interview mit Martin Müller, »Pur-Magazin«, 1.3.1988

Was macht Maria Vesperbild zu einer so beliebten Wall- fahrt? Kurz: Warum, denken Sie, kommen so viele Menschen hierher?

Ich glaube, da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Maria Vesperbild ist eine Wallfahrt, die ein klassisches Element mit einem modern-dynamischen Element in der Marienfrömmigkeit verbindet. In Vesperbild finden zwei Ströme der Marienverehrung zusammen: Das ist einmal die klassische Wall- fahrt aus dem 17. Jahrhundert mit dem Gnadenbild, eben dem Vesperbild, und das ist die Fatima-Grotte im Wald mit der ganzen damit verbundenen Fatima-Frömmigkeit, die ja nun in der Marienverehrung etwas sehr, sehr Modernes ist, etwas Typisches für den Katholizismus des 20. Jahrhunderts.

Es scheint, dass sich in den letzten Jahren das Pilgerwesen und die Marienfrömmigkeit allgemein im Aufwärtstrend befinden. Worauf führen Sie das zurück?

In der Tagespresse, im Rundfunk und im Fernsehen erfahren wir zusehends mehr von der sogenannten »Frauenproblematik«, und wie die Frau in der Kirche angeblich unter- drückt wird. Man könnte fast der Meinung sein, dass die Kirche in den letzten 30 Jahren nur noch aus Kritik am Be- stehenden zu bestehen scheint. Diese Wirklichkeit ist nur eine Seite der Gesamtwirklichkeit. In Wahrheit gibt es diesen anderen Strom, den »normalen« Katholizismus, die ganz normalen Leute, die ein bisschen verunsichert sind, die irgendwo dumpf spüren, dass das, was Presse, Rundfunk und Fernsehen ihnen vorsetzen, doch so nicht stimmen kann, und die dann tatsächlich verstärkt in ihre traditionellen Wallfahrtsorte ziehen. Und es ist auch eine Abstimmung mit den Füßen über bestimmte Seelsorgemethoden.

Gerade aus »progressiven« Kreisen kommt aber immer wieder der Vorwurf, »Pilgern heute« sei mehr eine folkloristische Angelegenheit oder ein religiös verbrämter Tourismus ...

Sicherlich gibt es das. Es gibt sicher Pilgerfahrten, die religiös verbrämter Tourismus, mehr touristische als religiöse Ereignisse sind. Aber hier gilt natürlich der Satz: Der Unwert des Missbrauchs setzt den Wert des Gebrauchs voraus! Und Maria Vesperbild ist kunsthistorisch nicht so interessant, dass es den Tourismus interessiert und folkloristisch nicht so bewegt, als dass wir hier anfällig wären. Wer unseren Pilgern diesen Vorwurf macht, den würde ich einfach mal in den Beichtstuhl bitten, vielleicht, zwei Tage hier beim Beichten, dann wird er eines anderen belehrt sein.

Könnten Sie uns sagen, welche theologische Bedeutung das Pilgern und Wallfahren hat?

Der Bischof von Augsburg hat einen Wappenspruch, und dieser Wappenspruch lautet: »Dem pilgernden Gottesvolk«. Gerade das II. Vatikanische Konzil hat besonders betont, dass die Kirche eine Weggemeinschaft des Glaubens ist, eben das »pilgernde Gottesvolk auf dem Weg zur Ewigkeit«. So unterstreicht »Pilgern« die eschatologische Grunddimension der Kirche und des Glaubens. »Pilgern« ist vielleicht der schönste und treffendste Ausdruck des konziliaren Kirchenbildes.

Gerade auf diesem ihrem Pilgerweg durch die Zeiten bedarf die Kirche ja immer wieder der Erneuerung, bedarf sie heiliger Orte und heiliger Gestalten, um ihren Weg gut und glaubwürdig gehen zu können. Was tut da heute besonders not?

Nach meiner Erfahrung, und es ist auch die Erfahrung des Historikers, bringen Strukturänderungen, Reformen an äußeren Gegebenheiten nicht viel. Wir dürfen das Wort von der »ecclesia semper reformanda« nicht missverstehen. Die Reformbedürftigkeit der Kirche ist eine Reformbedürftigkeit der Herzen. Die Geschichte der Katholischen Kirche kennt ja viele erfolgreiche Reformen, wie z. B. die »Gregorianische Reform«, die großartigen Reformen unter Papst Innozenz III., die Reform, die immer noch mit dem miss- verständlichen Terminus »Gegenreformation« bezeichnet wird, und die großen Reformen unter den Päpsten Pius IX. und Pius X.; diese wirklich erfolgreichen Reformen zeigen uns einige Strukturelemente authentischer Reformen auf: 1. Kirchliche Reform bedeutet immer eine Vertiefung christlicher Frömmigkeit und damit immer auch eine größere Vielfalt von Frömmigkeitsübungen, 2. immer eine größere Nähe zum Papst. Alle Reformen in der Katholischen Kirche, die sich durchgesetzt haben, haben sich durchgesetzt, weil sie das Papsttum mit-eingeschlossen haben. Und es bedeutet 3. aufgrund der beiden ersten ein Vertrauen in die Geschichtskraft der Institution Kirche.

Daher Ihr Mut, hier in Maria Vesperbild verstärkt die Betonung auf traditionell-katholische Formen zu legen? Glauben Sie, dass die Erneuerung der Kirche gleichsam aus ihren alten Quellen kommt, aus der Rückbesinnung auf ihre Geschichte und Tradition?

Die Erneuerung kann immer nur durch die Rückbesinnung auf die Geschichte kommen. Die Katholische Kirche ist von ihrem Glauben her angelegt auf ein Ereignis in der Vergangenheit, nämlich auf die historischen Ereignisse um die konkrete Person Jesus Christus. Und eine Institution, die sich loslösen wollte von der Verpflichtung ihrer Geschichte, wäre zum Untergang verdammt. Das ist die Kirche aber nicht, da die Pforten der Hölle sie nicht überwinden wer- den. Wir müssen uns daher und immer wieder auf die Ge- schichte der Kirche besinnen, aus der Geschichte die Kraft schöpfen, die Gegenwart auszuhalten und die Zukunft zu gestalten. Das heißt nicht, etwas Vergangenes zu kopieren, sondern aus der Kraft der Geschichte etwas Lebendiges für die Zukunft zu gestalten.

Nun hat sich in den vergangenen 20 Jahren aber doch innerhalb der Katholischen Kirche ein Graben gebildet zwischen progressiven und traditionalistischen Kreisen. Wie ließe sich diese Kluft überwinden?