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Marco Kunz

Konstantin

Konstantin

Das römische Reich im dritten Jahrhundert nach Christus: Konstantin wächst als politische Geisel in einem der vier Herrschaftsgebiete auf, doch schon früh regt sich in ihm der Wunsch, selbst eines Tages als Kaiser über den weitläufigen Staat zu regieren. Dem Christentum, das sich immer weiter verbreitet und für ihn eine fremdartige Religion ist, steht er zunächst skeptisch gegenüber – bis ihm eines Tages eine Erleuchtung zuteilwird: Er als Alleinherrscher über ein Reich unter dem einen strahlenden Gott. Mit dem Zeichen Christi auf dem Streithelm zieht er schließlich als Kaiser des Westens in den Krieg, in dem Glauben an eine göttliche Vorsehung, die ihm den Sieg sichern soll.

Seiten: 276

Marco Kunz

ISBN:978-3-8107-0340-8

Seiten: 276

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Marco Kunz

Leseprobe

Als er sich langsam den Purpur auszog, zitternd, sich mühsam beherrschend, nicht mehr wirklich Herr seines eigenen Körpers und seiner Bewegungen, doch immer noch alleiniger Herrscher und Kaiser des römischen Weltreichs, fühlte er endlich keinen anderen Wunsch mehr als den nach Vergebung.
Das Herrschergewand würde er nie wieder anrühren. Egal wie lange es noch dauerte, bis seine Seele diesen gebrechlichen kranken Körper verließ – er wollte im weißen Taufkleid, in völliger Reinheit ins Paradies eingehen. Sein irdischer Weg zur Macht und mit der Macht, auf dem er sich mit unsäglicher Schuld und sogar mit seinem eigenen Blut befleckt hatte, war zu Ende. Übrig war ein Drang, sich der Gottheit, die ihm trotz aller von ihr erhaltenen Zeichen immer ein Mysterium geblieben war, endgültig hinzugeben, ein Glaube und eine Sehnsucht nach Erlösung.
Wann er zum ersten Mal solche frommen Neigungen in sich verspürt hatte, wusste er nicht mehr, erzogen worden war er dazu jedenfalls nicht. Er wurde erzogen zu Kampf, Pflichterfüllung und Erbarmungslosigkeit mit sich und anderen, als Sohn eines Herculiers, der Caesar des Westreichs war.
Schon als Kind war er seinen Eltern entrissen worden, seiner Mutter Helena, die aus Kleinasien stammte und ihm zum Einschlafen mit warmer Stimme und in griechischer Sprache orientalische Melodien vorsang, die sein Herz seltsam anrührten, und seinem verständnisvollen Vater Constantius, der ihm jede seiner kindlich-wiss- begierigen Fragen zum Leben, zur Welt und zum Reich geduldig, ernsthaft und oft humorvoll beantwortete, auch wenn er ihn in seiner Kindheit nur selten zu Gesicht be- kam, da dieser die meiste Zeit als Feldherr auf gallischen und britannischen Schlachtfeldern verbringen musste.
Konstantin war noch keine elf Jahre alt, da wurde er aus machtpolitischen Gründen, um die Loyalität seines Vaters zu gewährleisten, als Geisel weit nach Osten, an den Hof des Oberkaisers Diokletian in Nikomedia an der orientalischen Küste des Marmarameers gebracht, wo er eine strenge Schule absolvieren musste: Griechische und lateinische Sprache und Literatur, Philosophie, verschiedene Formen der Kampfkunst, Militärwesen – und vor allem Disziplin. Auch als Sohn eines Caesars musste er im Sommer bei Sonnenaufgang und im Winter in tiefster Dunkelheit zum Unterricht erscheinen und die Hand für die Peitsche hinhalten, die ihn bei jeder falschen Antwort schmerzhaft traf.
Und trotz seines eher sanften Gemüts war er bei dieser harten Schule mit Begeisterung dabei. Das Vorbild seines fernen Vaters, den er wie eine höhere Instanz immer im Rückraum seines Bewusstseins spürte, ließ in ihm den Traum, einmal ein großer Feldherr, ja ein großer Kaiser zu werden, immer leidenschaftlicher wachsen. Und dieser Traum trieb ihn bei jeder Übung im Schwertkampf dazu, über sich selbst hinauszuwachsen, und ließ ihn bei jeder Unterweisung in militärischer Taktik gespannt lauschen. Sein Talent und Ehrgeiz blieben seinen Lehrern und auch dem gestrengen Oberkaiser nicht verborgen, was dieser aber nicht zum Anlass nahm, ihn über die Maßen zu loben, sondern ihn noch mehr zu fordern und abzuhärten.
Schon in jugendlichen Jahren wurde er an der Seite von Generälen mit auf Schlachtfelder geschickt, war bei Exekutionen zugegen und auch bei den brutalen Zirkusspielen, die er später als unmoralische und sündige Gewaltorgien, die der menschlichen Seele, vor allem der kindlichen, schweren Schaden zufügten, verabscheute.
Er vergaß niemals, wie er bei seinem ersten Besuch der Spiele nach anfänglicher kindlicher Begeisterung über den feierlichen Einzug der Musiker, Kampfrichter und Kämpfer und den eröffnenden Tierdressurdarbietungen und Tierkämpfen plötzlich schockiert mit ansehen musste, wie persische Kriegsgefangene und verurteilte Schwerbrecher sich gegenseitig mit langen Schwertern die Gliedmaßen abschlugen und die Bäuche aufschlitzten, dass die Gedärme herausquollen und in der Mittagssonne glänzten, bevor die Überlebenden dieser brutalen Kämpfe von erfahrenen Gladiatoren niedergemetzelt wurden. Beim zweiten Besuch wurde ihm schon weniger übel, beim dritten Mal hatte er sich an die Gräuel gewöhnt, und genau das war beabsichtigt. Er sollte ein harter, pflichtbewusster Feldherr werden, so wie sein Ziehvater und Herr Diokletian.
Zu diesem Diokletian fühlte er allerdings von Beginn an keine echte Verwandtschaft und keine wirkliche menschliche Nähe. Auch vor ihm hatte der Jüngling Respekt, aber auf eine ganz andere Weise als vor seinem leiblichen Vater. Wo sein Vater verständnisvoll und manchmal sogar humorvoll erklärte, befahl Diokletian schroff und unnachgiebig, wo sein Vater tolerierte und anderes gelten ließ, versuchte Diokletian gnadenlos jede Abweichung auszumerzen, und wo sein Vater an Ehrgefühl und Mannesstolz appellierte, drohte Diokletian und strafte daraufhin kühl und unbarmherzig.
Dieser kleine, leicht verhärmte Mann mit seinen entschlossenen, zupackenden Bewegungen beherrschte nicht nur als oberster Augustus de facto das ganze Reich – auch wenn er es zur besseren Verteidigung in vier Teile geteilt hatte, von welchen Konstantins leiblicher Vater Constantius den nordwestlichen Teil regierte –, sondern er beherrschte auch Konstantins Jugend. Seine ganze Jugend, ja eigentlich sein ganzes Leben fühlte er irgend- wo hinter sich diesen Imperator wie einen Imperativ, diesen kleinen Kopf mit der breiten Stirn, der kräftigen Nase und den starren grünbraunen Augen, die unter den buschigen schwarzgrauen Augenbrauen immer in eine weite Ferne zu blicken schienen: auf die aktuell gefährdeten Reichsgrenzen oder weit in der Zeit zurück ins zweite Jahrhundert, zum »göttlichen Marcus, dem frommen Kaiser«, wie er sein Vorbild Marc Aurel immer zu nennen pflegte, zu dessen Größe er »das Römische« zurückführen wollte.
»Das Römische«, das war es, was er immer hochhielt und durchzusetzen bestrebt war: römische Art, römische Philosophie, römische Ehre, römischer Kampfesmut – und nicht zuletzt die römischen Staatsgötter und deren Opferriten, deren Ausführung auch Konstantin lernte und gewissenhaft nachkam. Aber es war nicht nur Gehorsam, sondern auch hier war er mit dem Herzen da- bei, und wenn die mit bunten Bändern und Kränzen geschmückten Opfertiere, meist Stiere oder Ziegen, begleitet von Flötenmusik zum Altarfeuer geführt wurden, erlebte Konstantin immer eine andächtige Verzückung.