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Joachim Meyerhoff

Man kann auch in die Höhe fallen

Man kann auch in die Höhe fallen

Mit Mitte fünfzig zieht der Erzähler zu seiner Mitte achtzigjährigen Mutter aufs Land, um dort an einem Roman über das Theater mit dem Titel »Scham und Bühne« zu schreiben. Es werden unvergleichliche, ereignisreiche Wochen, in denen er durch die Hilfe seiner Mutter aus einer tiefen Lebenskrise findet.

Nachdem er in Wien von einem Schlaganfall aus der Bahn geworfen wurde, hofft Joachim Meyerhoff, durch einen Neuanfang in Berlin wieder Fuß zu fassen. Doch alles kommt anders als gedacht. Die neue Stadt zerrt an den Nerven und die künstlerische Arbeit als Schriftsteller und Schauspieler fällt ihm von Tag zu Tag schwerer.

Auf der Geburtstagsfeier seines kleinen Sohnes ereignet sich ein Zwischenfall, der keinen Zweifel daran lässt, dass es so nicht weitergehen kann. Der Erzähler verlässt Berlin und zieht zu seiner Mutter aufs Land, die auf einem herrlichen Grundstück unweit vom Meer ein sehr selbstbestimmtes Leben führt. Mutter und Sohn sind sich immer schon sehr nah gewesen, aber diese gemeinsamen Wochen werden zu einer besonderen Zeit. Der Sohn klinkt sich ein in den Tagesablauf der Mutter, beginnt seinen Theaterroman und andere Geschichten zu schreiben und findet allmählich heraus aus Zorn und Nervosität, die ihn sein ganzes Leben begleitet haben.

Seiten: 368

Joachim Meyerhoff

    ISBN:978-3-462-00699-5

    Seiten: 368

    Normaler Preis €26,00 EUR
    Normaler Preis Verkaufspreis €26,00 EUR
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    Joachim Meyerhoff

    Joachim Meyerhoff, geboren 1967 in Homburg/Saar, aufgewachsen in Schleswig, hat als Schauspieler an verschiedenen Theatern gespielt, unter anderem am Burgtheater in Wien, am Schauspielhaus in Hamburg, an der Berliner Schaubühne und den Münchner Kammerspielen. Dreimal wurde er für seine Arbeit zum Schauspieler des Jahres gewählt. 2011 begann er mit der Veröffentlichung seines mehrteiligen Zyklus »Alle Toten fliegen hoch«. Seine Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2024 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor.

    Leseprobe

    Als der Zug im Bahnhof einfuhr, sah ich meine Mutter bereits auf dem Bahnsteig stehen, lässig an ein Geländer gelehnt. Sie aß etwas, beherzt biss sie ab, trug ein leichtes Sommerkleid, Fähnchen nennt sie diese, und war braun gebrannt wie eh und je. Niemand wäre jemals darauf gekommen, dass sie bereits sechsundachtzig war. Dreißig Jahre älter als ich. Als sie so alt war wie ich jetzt, war ich sechsundzwanzig. Ich habe mit diesem Sechsundzwanzigjährigen nicht mehr viel gemein, aber meine Mutter scheint mir unverändert. Der Fahrtwind des einfahrenden Zuges wirbelte in den leichten Stoff ihres Kleides hinein. Ich stieg aus, sie sah mich, und wir gingen aufeinander zu. Sie kaute und schluckte, wischte sich mit einer Serviette über den Mund, und als wir uns umarmten, hielt sie ein durch gefettetes Papier von uns weg. »Was isst du denn da? Das riecht ja heftig.« »Der Döner hier ist köstlich«, meine Mutter wischte sich mit der Serviette über den Mund, »aber zu viel. Dass der Zug so pünktlich kommt, ist ja auch eher ungewöhnlich. Damit war nicht zu rechnen. Ich hatte gehofft, dass ich noch in Ruhe aufessen kann. Willst du mal beißen?« Sie hielt mir den Döner vor das Gesicht und wedelte damit herum, als würde er so schmackhafter. »Machst du das öfter?«, fragte ich erfreut. »Alleine am Bahnhof einen Döner essen?« »Na klar! Immer, wenn ich jemanden abhole16oder hinbringe. Bringen ist allerdings viel besser. Da setze ich mich dann auf eine Bank und trinke ein Bier dazu, und meistens bin ich ja auch heilfroh, wenn jemand wieder weg ist!« Wir umarmten uns so, wie wir uns stets aufgrund des enormen Größenunterschieds umarmten. Meine Mutter legte ihren Kopf auf meine Brust und verharrte bewegungslos für einen innigen Augenblick, als würde sie mein Herz abhorchen. Ihr Haar kitzelte unter meinem Kinn. Gab es das sonst noch irgendwo im Tierreich, dass männlicher Nachwuchs derart die Mütter überragte? Es gibt Fotos von mir und meinen bei-den Brüdern, auf denen drei Männer von ein Meter neunzig um eine kleingewachsene zierliche Frau gruppiert sind und es kaum möglich scheint, dass diese Riesen ihre Kinder sein könnten. Der Kopf meiner Mutter, ihr Haar unter meinem Kinn. Ich zog meinen orangen Rollkoffer Richtung Auto über den Parkplatz. Meine Mutter war an mir vorbeigeeilt, drehte sich um und rief: »Nun mach mal, mein lieber Sohn, ich hab noch eine Verabredung.« Den nur zur Hälfte gegessenen Döner wickelte sie in die fettige Serviette ein und legte ihn nach dem Einsteigen neben dem Schaltknüppel ab. Da sie nicht sehr groß ist, stapelt sich meine Mutter stets mehrere Kissen auf den Fahrersitz. Jahrzehntelang hatte sie sich nicht angeschnallt, und erst, als es keine Modelle mehr ohne Warnsignale gab, missmutig damit angefangen. Gurte und meine Mutter hatten schon immer auf Kriegsfuß gestanden. Alle paar Minuten rupfte sie sich diesen von der Brust und holte demonstrativ tief Luft, um alle Mitfahrenden auf das ihr auferlegte Gurtmartyrium aufmerksam zu machen. Meine Mutter fuhr schnell und kannte die Strecke gut, so gut, dass sie, wie ich es sonst nur aus Filmen kannte, viel zu lang zu mir herübersah. »Du siehst aber ganz schön mitgenommen aus, lieber Sohn, ganz blass und ernsthaft.