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Ute Raschpichler-Saad

Schlafend in die Katastrophe

Schlafend in die Katastrophe

Ein persönlicher Bericht über die Flutnacht 2021

In ihrem bewegenden Buch „Schlafend in die Katastrophe“ schildert Ute Raschpichler-Saad eindrucksvoll die erschütternden Ereignisse der Flutnacht im Sommer 2021. Sie erzählt von der Zerstörung ihres Hauses und ihrer Nachbarschaft, während auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einem Haus der Lebenshilfe Sinzig tragischerweise zwölf Menschen in den Fluten ums Leben kommen. Raschpichler-Saad nimmt die Leser mit auf eine emotionale Reise durch die Wochen und Monate nach der Katastrophe, die für sie und die betroffene Region das Ende einer gewohnten Welt bedeuten. Ihr persönlicher Bericht ist nicht nur eine Reflexion über den Verlust, sondern auch eine Auseinandersetzung mit den tiefgreifenden Auswirkungen solcher Naturkatastrophen auf das Leben der Menschen. Ein eindrucksvolles Buch über Schmerz, Hoffnung und die Bewältigung der Folgen einer unvorstellbaren Tragödie.

»Ich werde plötzlich geweckt. Ines steht an meinem Bett. Warum? Es ist doch stockduster draußen.
›Steh auf, wir haben Hochwasser, überall ist Wasser.‹
Ich bin sofort auf den Beinen, bin hellwach. Ein kurzer Blick aus dem Fenster bringt nicht viel, es ist zu dunkel, ich sehe kaum etwas. Es ist beängstigend still, anders als sonst, es ist eine schwere Stille trotz einiger Geräusche, die nicht in die Nacht gehören. Es wälzt sich etwas Braunes, etwas Stinkendes vor dem Fenster entlang. Ein dreckiger Strom fließt durch das, was mal eine Straße gewesen ist. Wir sind eingeschlossen und das Wasser steigt. Ein Auto schwimmt mit Licht an uns vorbei, gleich darauf folgt ein zweites. Es ist gespenstisch, es ist unfassbar. Sind das unsere Autos?
Es ist genau jetzt, in diesem Moment, in dem etwas mit mir passiert: ich spüre nichts, ich empfinde nichts. Irgendwo ist da gerade ein Schalter umgeschaltet worden. Da ist weder Angst, noch Panik, da ist nur Leere. Umso mehr ich realisiere, dass wir eingeschlossen sind in einer stinkenden Kloake, abgetrennt von der Außenwelt, umso mehr ist rein gar nichts mehr in mir.«

Seiten: 204

Ute Raschpichler-Saad

ISBN:978-3-96123-101-0

Seiten: 204

Normaler Preis €18,00 EUR
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Raschpichler-Saad

Ute Raschpichler-Saad

Ute Raschpichler-Saad studierte in Brüssel Französisch als Fremdsprache und arbeitete fünfzehn Jahre im französischsprachigen Ausland in Europa und Afrika. Seit 2000 ist sie freiberufliche staatlich geprüfte Übersetzerin und Dolmetscherin. Darüber hinaus arbeitet sie als Gästeführerin in Bonn, im Ahrtal und in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Leseprobe

Mittwoch, 14. Juli

15.00 Uhr

Ich erwarte heute Britta, eine Freundin aus Bonn. Eigentlich wollte sie gar nicht kommen, weil es auch heute Morgen immer noch ununterbrochen regnet. Aber sie ist dann doch gefahren. Wir haben uns wegen der Corona-Pandemie lange nicht mehr gesehen, und außerdem habe ich auch schon Chili con Carne vorbereitet. Sie trudelt gegen 15 Uhr ein. Der geplante Spaziergang an der Ahr fällt sprichwörtlich ins Wasser, und so trinken wir Kaffee und klönen.
Es regnet und regnet, es läuft in Mengen an den Fensterscheiben hin­unter. Die Tasse Kaffee schmeckt im Trockenen besonders gut. Es geht uns gut. Die Abende mit Britta enden meist etwas später, aber wir planen heute aufgrund des Regens einen früheren Auf bruch, denn sie fährt nicht gerne bei Regen und im Dunkeln. Wir verabschieden uns gegen 20 Uhr.
»Besser, du nimmst die B9 anstatt ein Aquaplaning auf der A61 zu riskieren.«
Es regnet noch immer kübelweise.
Ungefähr eine Stunde später kommt ihr Anruf:
»Bin gut angekommen. Ich war aber vorher noch kurz bei meiner Mut­ter in Bonn-Lessenich, deswegen rufe ich dich erst jetzt an. Hoffentlich hast du dir keine Sorgen gemacht. Übrigens, es war gut, dass ich früher losgefahren bin. Es gab tatsächlich schon Wasser auf der B9, auf der lin­ken Seite, nicht in meiner Fahrtrichtung. Die Unterführung am Probsthof war gesperrt, weil das Wasser von einem kleinen Bach schon ziemlich hochstand. Ich habe einige Bewohner vor ihren Häusern stehen sehen, die voller Sorge das steigende Wasser beobachteten. Ich kam mit dem Auto gerade noch so durch, aber auf dem Rückweg von meiner Mutter zu mir, habe ich dann eine andere Route genommen. Ich bin froh, dass ich jetzt zuhause bin.«
Ein kleiner Bach läuft aus dem Ruder, kein Wunder bei dem vielen Re­gen, hoffentlich hört er bald auf. Britta ist zuhause, alles gut gelaufen. Vor­sichtshalber gehe ich in den Keller. Dort haben wir vor einigen Monaten Wasser hinter der Kellertür gesehen, das wohl durch den Estrich gesickert war, aber im Laufe der Tage dann wieder getrocknet ist. Heute Abend ist kein Tropfen zu sehen, alles in Ordnung. Entspannt auf dem Sofa sitzend, schaue ich in aller Ruhe den Krimi zu Ende.
Ganz kurz denke ich an das »Jahrhunderthochwasser« von 2016, bei dem Sinzig von Starkregen und Überflutungen betroffen war. Fußgängerwege und Wiesen wurden überschwemmt und viele Sandsäcke wurden gegen das langsam ansteigende Wasser verteilt. Es war nicht wirklich beängstigend, es kamen nur Wenige zu größerem Schaden. Damals hat mich diese »Wil­de Tochter des Rheins«, die Ahr, fasziniert, ich habe sie neugierig von der Brücke aus bestaunt.
Während ich anschließend noch in meiner offenen Küche beschäftigt bin, berichtet Karen Miosga in den Spätnachrichten über Hochwasser in Hagen, von reißenden Strömen aus Bächen, von überfluteten Kellern und Straßen, von einer durch Wasserdruck zerstörten Fabrikmauer. Es werden Sandsäcke organisiert und einige Bewohner werden von der Feuerwehr vorsichtshal­ber aus den Häusern evakuiert. Das hört sich jetzt nicht wirklich gut an, aber Hagen liegt noch ein ganzes Stück entfernt von Sinzig, und ich habe auch heute nichts im Radio gehört zum Thema Überflutungen und Hoch­wasser in Sinzig und Umgebung.
In der Folgenachricht erfahre ich, dass die EU-Kommission in Brüssel ge­rade ein umfangreiches Klimaschutzprogramm vorlegt mit dem Ziel, dieses Mal bis 2030 unbedingt 55 Prozent CO² einzusparen.
Was für ein Timing! Zufall? Genau an diesem Tag, dem 14. Juli 2021, an dem angekündigt wird, dass ein heftiges Unwetter mit gewaltigem Stark­regen übers Land zieht, wird in Brüssel wieder einmal mit unendlich vielen Stunden in einer der zahlreichen kostspieligen Konferenzen geredet, ge­redet und geredet, und es werden Richtlinien und Verordnungen verab­schiedet, die die Klimakatastrophe, welche mit großen Schritten auf uns zukommt, baldmöglichst aufhalten können.
Ich erwische gerade noch einen Satz von der Präsidentin der EU-Kom­mission, Ursula von der Leyen, die geradeheraus mit voller Überzeugung verkündet, dass es zum Schutz des Planeten und zur Erhaltung unseres Wohlstands dient. Na denn! Hört sich gut an! Aber, was, wenn ihr das nicht zur rechten Zeit umsetzt und es dann vielleicht nicht mehr nötig sein wird?
Der Tag heute ist gut gelaufen, Britta und ich haben gut gegessen, viel gequatscht, ich bin rundum zufrieden und jetzt reif für die Koje. Die Stadt Sinzig hält Nachtruhe. Nur bei uns noch nicht. Ich höre die Haustür unten ins Schloss fallen. Ines, meine Tochter, die seit einem Jahr im Souterrain wohnt, dreht nun mit Filou die letzte allabendliche Pipi-Runde, damit sie morgens weniger Hektik hat und länger schlafen kann. Dieses abendliche Ritual von Ines und Filou hat etwas Beruhigendes.
Während ich im Bett liege gehen mir noch viele Gedanken durch den Kopf. Heute ist der 14. Juli, Nationalfeiertag in Frankreich und die ganze Nation feiert den »Sturm auf die Bastille«. Vor langen Jahren war ich ein­mal dabei. Nach einem guten Essen und viel Rotwein haben wir in den Stra­ßen getanzt bis in die frühen Morgenstunden. Ich wäre heute gerne dabei gewesen. Das sind schöne Erinnerungen für schöne Träume.
Wie jeden Abend stelle ich das Fenster auf Kipp und hole mein Buch vom Nachttisch. Kaum hatte ich die ersten Seiten gelesen, da höre ich plötzlich laute Stimmen. Es kommt offensichtlich vom Ende unserer Straße, unge­fähr 50 Meter entfernt.