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Andrea Revers

Seelenschwur

Seelenschwur

Das Erwachen

Im Sommer 1944 erreicht der Weltkrieg die Eifel. Drei junge Wehrmachtssoldaten werden bei den Kämpfen im Hürtgenwald tödlich verwundet, doch sie erliegen nicht ihren Verletzungen, sondern einem uralten Grauen, das sich in den tiefen Klüften und Wäldern der Eifel versteckt hält.

Früher nannte man Wesen wie Vlat »Läufer«. Er ist der letzte seiner Art, aufgeschreckt vom unablässigen Donnern der Kriegsmaschinerie. Nimmt er die Lebenskraft der sterbenden Männer in einem Anflug von Gnade oder um seinen Hunger zu stillen? So oder so ist der Preis für seine Tat hoch und zwingt ihn zurück in sein Versteck. Hier muss er warten, um Jahrzehnte später die übernommene Seelenschuld seiner Opfer zu begleichen. Doch dazu wird er Hilfe brauchen …


Seiten: 250

Andrea Revers

ISBN:978-3-96123-099-0-1

Seiten: 250

Normaler Preis €15,00 EUR
Normaler Preis Verkaufspreis €15,00 EUR
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Andrea Revers

Andrea Revers studierte Psychologie und Publizistik in Bochum, arbeitete als IT-Journalistin, machte sich mit einer Kommunikationsagentur selbstständig und setzte später ihren Schwerpunkt auf Managementtraining und Business Coaching. Sie lebt seit vielen Jahren mit ihrem Mann in ihrem alten Bauernhaus in der Eifel. Neben Fachliteratur schrieb sie zunächst Kurzkrimis für verschiedene Zeitschriften und arbeitet seit 2019 als Vollzeitschriftstellerin. Mittlerweile ist sie erfolgreiche Krimi-Autorin. Mit ihrem neuen Roman meistert sie den Genre-Sprung, bietet Fantasy der besonderen Art. Moderner Vampir-Mythos trifft auf Regionalliteratur, vor einem atemberaubenden historischen Hintergrund – ein Muss für jeden Fantasy-Fan, nicht nur die aus der Eifel.

Leseprobe

Es roch nach Rauch und verbranntem Fleisch. Er erhob sich aus seinem Versteck und lief in Richtung des großen Mondes. Seine Füße fanden in der sternenhellen Nacht wie von selbst den Weg über Äste und Wurzeln, obwohl er tod­müde war. Schon seit Tagen krachte und donnerte es in die­sem eigentlich friedlichen Wald. Er hatte versucht zu ent­kommen, aber egal in welche Richtung er sich wandte, überall stieß er auf Menschen in Uniformen, Panzer und Waffen. Tagsüber versteckte er sich im dichten Geäst, doch schon mehr als einmal wäre er beinahe entdeckt worden. So sollte es nicht sein. Das hätte die Zeit des Friedens sein sollen, die Tage wurden kürzer, das Laub fiel und die Tiere zogen sich in ihr Winterquartier zurück. So wie auch er. Schon seit vielen Jahresläufen war dieser Wald seine Hei­mat. Hier gab es alles, was er brauchte, Nahrung, Unter­schlupf und Geborgenheit.
Doch nicht in diesen Zeiten. Jetzt war der Wald zur Ge­fahr geworden. Durch das Knattern der Gewehre, die Ex­plosionen, den Gefechtslärm hatten sich die Tiere zurück­gezogen und es mangelte ihm an Nahrung. Er fühlte, wie er immer schwächer wurde. Noch konnte er den Prozess auf­halten, aber nicht mehr lange. Er brauchte Nahrung, um zu überleben.
Er war in seiner Konzentration abgelenkt, sodass er fast in einen kleinen Trupp Männer hineingelaufen wäre. Im letzten Moment hörte er das leise Flüstern und Zischen, roch den muffigen Geruch nach nasser Kleidung und un­gewaschenen Hälsen. Er stoppte abrupt. Kein Laut drang durch die Büsche. Er war es gewohnt, sich geräuschlos durch den Wald zu bewegen. Sie hatten ihn sicher nicht gehört. Leise schlich er sich an. Vier junge Männer, fast noch Welpen, alle in Uniform. Sie wirkten panisch und niedergedrückt. Er roch die Angst, die ihnen aus allen Po­ren stieg.
»Lass uns hier verstecken«, brach es aus einem mageren Jugendlichen hervor, dem die Uniform viel zu groß war. »Ich kann nicht mehr!«
Zwei der drei stimmten ihm nickend zu, doch der Vierte
– wohl so etwas wie der Anführer der kleinen Gruppe – ließ das nicht zu. »Es ist unsere Aufgabe, dieses Waldstück zu sichern.
Verteilt euch.«
Er zeigte in Richtung Westen.
»Dort hinten ist die Frontlinie. Von dort kommen die verdammten Amis. Josef und Schang, ihr sichert in diese Richtung. Waldi, du sicherst uns nach hinten ab, damit uns niemand in den Rücken fällt. Ich suche diese verdammte Bunkerstellung. Laut der Karte müsste sie hier irgendwo sein.«
Im Licht eines Sturmfeuerzeugs versuchte er, eine Karte zu entziffern.
Der Läufer verzog das Gesicht. Sie saßen direkt darauf. Er konnte im Dunkeln die Schießscharten der Bunkerstel­lung erkennen, die hinter ein paar Büschen versteckt war, und er roch den Moder, der aus der Anlage herüberzog.
»Kannst du mir sagen, was wir hier eigentlich ma­chen?«, fuhr der Waldi genannte Junge auf. »Sollen die Amis doch kommen. Schlimmer als jetzt kann es wirklich nicht mehr werden. Der Krieg ist verloren, das wissen wir doch alle.«
Der Anführer hob seine Waffe und richtete sie auf seinen Gefährten. »Soll ich dich direkt erschießen? Das ist Fahnenflucht. Unser Führer weiß, was er tut. Er verlässt sich auf uns.« Josef mischte sich vorsichtig ein. »Nur die Ruhe, das hat er doch nicht so gemeint. Schau dir Waldi an. Der sollte
jetzt die Schulbank drücken, statt hier an der Front zu sein. Wir haben schon genug gute Leute verloren.«
Auch Schang hatte sich nun umgedreht und ließ sein Ge­wehr locker in der Armbeuge hängen, doch zeigte es wie unabsichtlich direkt auf ihren Anführer. »Komm, Hans, wir kennen uns schon so lange. Lass den Jungen in Ruhe.«
Hans wollte aufbrausen, doch plötzlich zischte es direkt in seiner Nähe, ein heulender Ton, ein lauter Knall, der sie alle von den Beinen riss.
Der Läufer stürzte schwer mit dem Rücken auf einen ab­gebrochenen Ast. Das schmerzte und er bemühte sich, zu Atem zu kommen. Anscheinend hatte sich etwas in seinem Körper verdreht und er brauchte einige Minuten, bis der Schmerz nachließ.
Er richtete sich auf. Die Luft war erfüllt von Rauch und Feuer. Dazwischen aber lag der süßliche Duft von Blut. Er spürte, wie sich seine Lebensgeister regten. Er hatte Durst, brauchte dringend Nahrung. Langsam erhob er sich und machte sich ein Bild von der Lage.
Die vier jungen Männer lagen auf dem völlig verwüste­ten Waldboden. Irgendetwas hatte sie getroffen. Der Läufer sah den großen Krater und das zerfetzte Fleisch. Vom An­führer war nicht mehr allzu viel vorhanden. Der Junge, den sie Waldi genannt hatten, lebte noch und stöhnte vor sich hin. Aus seinem Unterleib floss das Blut in Strömen und von seinen Beinen war nicht mehr viel zu sehen. Josef und Schang waren bewusstlos und schwer verletzt, aber der Läufer nahm das leise Pochen der Herzen wahr. Sie lebten noch, aber nicht mehr lange. Sollte er oder sollte er nicht? Normalerweise mied er Menschen. Er wusste, welches Risi­ko er gerade einging. Aber hatte er eine Wahl? In einer sol­chen Nacht zu jagen war hoffnungslos. Und irgendwann würde ihn jemand erwischen. Er musste bei Kräften blei­ben. Auch wenn er dafür einen hohen Preis zahlen würde.
Er trat näher und beugte sich über Waldi. Er blickte in zwei weitaufgerissene Augen. Waldi wollte etwas sagen, doch aus seinem Mund drang nur ein leises Röcheln und blutiger Schaum. Der Läufer legte ihm die Hand an die Schläfe und sofort entspannte sich der junge Mann. Als der Läufer den Mund öffnete, konnte Waldi in der Dunkelheit die großen Fangzähne zwar nicht sehen, aber er spürte den Biss in die Halsschlagader. Seine Augen schlossen sich und während der Läufer sein Blut trank, legte sich eine ent­spannte Zufriedenheit über das Gesicht des Sterbenden.
Der Läufer spürte, wie das Leben aus Waldi schwand. So weit wollte er nicht gehen. Gleichzeitig war ihm aber auch bewusst, dass er das Blut dringend brauchte. Er spürte, wie sich seine Zellen erneuerten und sich sein Körper stabili­sierte. Lange hätte er nicht mehr durchgehalten. Dankbar­keit erfüllte ihn. Er tastete mit seinem Geist nach seinem Opfer. Er konnte ihm Frieden geben, ein ruhiges Sterben. Das war das Einzige, was er für sein Opfer tun konnte.
Nein, das stimmte nicht ganz. Er konnte ihm das große Geschenk des Erinnerns geben. Er seufzte. Der Junge war noch so jung, voller unerfüllter Versprechen. War er es sei­nem Opfer nicht sogar schuldig, sein Vermächtnis zu erfül­len, dafür, dass er ihm sein Blut gab? Das hatte er schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gemacht. Doch vielleicht würde es ihm helfen zu verstehen, was hier geschah. Zumal sein Blutdurst noch längst nicht gestillt war.
Er beugte sich erneut über Waldi, der ihm bereitwillig den Hals darbot. Als der Läufer das letzte Blut aus Waldis Körper trank, sog er gleichzeitig seine Erinnerungen, sein Wissen, seine jugendliche Kraft in sich auf. Waldi wurde buchstäblich zu einem Teil von ihm. Seelentrinken – das machte man nur in Ausnahmefällen und in großer Freund­schaft. Denn der Übergang einer Seele in einen anderen Körper schaffte eine Verbindung, die nicht ignoriert wer­den konnte.